Taekwondo als Führungskräftetraining

In diesem Artikel auf zeit.de wird alles gesagt was wichtig ist:

„Wenn man plötzlich merkt, wie stark man ist“ Führungskräfte brauchen Selbstkontrolle und Respekt. Warum Chefs Kampfkunst trainieren sollten und wie sie Frauen hilft, erklärt die Taekwondo-Meisterin Sunny Graff. VON Sabine Hockling | 30. November 2016 – 22:38 Uhr © Jorge Luis Alvarez Pupo/LatinContent/Getty Images Die Kunst des Kampfes hat viel mit der Kunst der Führung zu tun, sagt die Taekwondo-Meisterin Sunny Graff. ZEIT ONLINE: Frau Graff, was können Führungskräfte von Kampfkunst lernen? Sunny Graff: Respekt, Selbstkontrolle und Harmonie von Körper, Geist und Emotionen – und das wirkt nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf andere. Es geht gar nicht ums Gewinnen. Sondern es geht darum, mit Leichtigkeit ans Ziel zu kommen – und dabei im Einklang mit sich und anderen zu sein. ZEIT ONLINE: Was ist der Unterschied zwischen Kampfsport und Kampfkunst? Graff: Kampfkunst und Kampfsport haben unterschiedliche Ziele. Beim Kampfsport geht es darum, zu siegen. In der Kampfkunst wollen wir den Kampf stoppen. Dort haben wir keine Gegner, sondern kämpfen gewissermaßen mit uns selbst, also mit unserem Geist, unserem Körper und unserer Emotion. In der Kampfkunst dauert es, Fortschritte zu machen. Man lernt, geduldig zu sein – mit sich selbst, seinen Fortschritten und auch den Partnern. Daher sind Disziplin, Ausdauer und Entschlossenheit sehr wichtig. Ich trainiere überwiegend Frauen. Und wenn eine Teilnehmerin in meinen Gruppen zu schnell aufgibt, bringe ich immer das Beispiel von Babys, die laufen lernen: Die fallen hin, stehen wieder auf, fallen hin, stehen wieder auf – und zwar so lange, bis sie gehen können. Und wenn eine Frau in meinem Dojang sagt: „Ich kann das nicht“, hält die Gruppe inne und sagt gemeinsam zehnmal gemeinsam: „Ich kann das!“ Das hilft der Schülerin – denn die Energie der Gruppe geht in die Verwirklichung. Und dann schafft die Schülerin ihre Übung. CHEFSACHE: WIE GEHT GUTE FÜHRUNG? Wie gelingt gute Personalführung, was zeichnet einen fairen Chef aus, wie löst man Konflikte mit Mitarbeitern und was macht Führungskräfte erfolgreich? Jede Woche spricht die Journalistin und Unternehmerin Sabine Hockling in der Serie Chefsache mit Managementexperten über Führungsfragen. Alle Folgen gibt es hier. KARRIERE 2 ZEIT ONLINE: Sie sagen: Falsche oder schlechte Energie in gute umwandeln, ist richtig verstandene Kampfkunst. Was haben die Kunst des Kampfes und die Kunst der Führung gemeinsam? Graff: Wer führen will, muss sich selbst unter Kontrolle, sowie Respekt für sich selbst und andere haben. Er oder sie muss klar in seinen oder ihren Gedanken sein und die Fähigkeit besitzen, intuitiv handeln zu können. Schließlich treffen Führungskräfte für andere wichtige Entscheidungen und brauchen dafür einen klaren Kopf. Oft sind Führungskräfte aber mit ganz anderen Dingen beschäftigt, immerhin haben sie vielfältige Aufgaben. Dann muss die Entscheidung aus dem Bauch getroffen werden. Eine Leichtigkeit für diejenigen, die Kontakt zu ihrem Mittelpunkt haben und sowohl mit ihrem Körper als auch ihrem Geist im Einklang sind. SUNNY GRAFF Die deutsch-amerikanische Rechtsanwältin, Psychologin und Taekwondo-Großmeisterin Sunny Graff engagiert sich für Gewaltprävention sowie für Selbstverteidigungsund Selbstbehauptungskurse für Mädchen und Frauen. Sie schrieb das Buch Mit mir nicht! Selbstbehauptung und Selbstverteidigung im Alltag und gründete den Verein Frauen in Bewegung in Frankfurt am Main, in dem Frauen verschiedene Kampfkunstarten trainieren. Die Schule hat bundesweite Ableger. Daher beginnt und endet die Kampfkunst auch immer mit einer Meditation: Wer abschaltet, kommt auf die richtigen Gedanken. Und durch die Atmung und durch körperliche Techniken lehrt uns die Kampfkunst, uns zu zentrieren und Kontakt zu unserem Mittelpunkt aufzunehmen. Mich erstaunt es daher nicht, dass viele herausragende Führungskräfte regelmäßig meditieren. ZEIT ONLINE: Sie unterrichten vor allem Frauen. Was können sie von Kampfkunst lernen? Graff: Auch wenn die Gleichberechtigung schon viel erreicht hat, so gelten Frauen immer noch als das schwache Geschlecht. Sie sind es, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind, die weniger Geld verdienen, die in Führungs- und Entscheidungspositionen unterrepräsentiert sind. Frauen können durch Kampfkunst Stärke lernen – und vermeintliche Grenzen zu überwinden. Und das fühlt sich fantastisch an. Die Kampfkunst lehrt Frauen, ihre Rechte einzufordern, indem sie Augenkontakt halten, über eine laute Stimme und starke Körperhaltung verfügen, Ziele formulieren und die eigenen Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen. ZEIT ONLINE: Wie funktioniert das, ganz praktisch? Graff: Wir beginnen beispielsweise die Stunde immer mit einer Bewegung, die zentriert und stark macht: Stabile Beinaufstellung, tief einatmen und dabei die Arme hochheben, beim Ausatmen die Arme sinken lassen. Machen wir uns groß, fühlen wir uns stärker KARRIERE 3 und sind es auch. Kreuzen wir hingegen die Arme und machen uns klein, steigt unser Stresshormon und wir signalisieren Machtlosigkeit. Viele typische Frauengesten sind darauf ausgerichtet, uns klein und hilflos zu machen. Generell führt der Sport dazu, dass der Körper aufgerichtet wird. Frauen, die eine gut trainierte Rücken- und Bauchmuskulatur haben, bewegen sich ganz anders. Sie sind aufgerichtet und eine aufrechte Haltung bringt automatisch mehr Selbstbewusstsein. Solche Frauen signalisieren (oder strahlen aus), dass sie keine Opfer und keine Objekte sind. Die Frauen lernen im Taekwondo zu schreien – denn jeder Kick wird mit einem sogenannten Kihab, dem traditionellen Kampfschrei – ausgeführt. Er schützt den Körper einerseits vor Verletzungen und andererseits ist er Ausdruck von Stärke und Energie. Viele Frauen, die zu mir kommen, müssen anfangs erst einmal lernen, zu schreien. ZEIT ONLINE: Sie haben in Europa Kampfkunst für Frauen salonfähig gemacht. Und in Ihren Kursen sind sehr viele Führungsfrauen. Warum kommen denn solche Frauen zu Ihnen? Was wollen sie noch lernen? Graff: Sie glauben gar nicht, wie viele auch Frauen in Führungspositionen Erfahrungen mit sexueller Belästigung und Alltagssexismus gemacht haben . Die Frauen erleben in der Arbeitswelt noch immer, dass ihnen zu wenig zugetraut wird, dass sie an die gläserne Decke stoßen, dass Männer ihnen die Welt erklären . Und besonders Frauen in Führungspositionen sind starker Kritik und Angriffen ausgesetzt. Und oft haben Frauen das Gefühl, dass sie etwas für sich tun wollen. Dass sie noch besser lernen wollen, sich durchzusetzen. Gleichzeitig wünschen sie sich den Austausch mit Gleichgesinnten. Das Training nur unter Frauen ist etwas Besonderes – Frauenräume haben seit jeher eine eigene Atmosphäre, die von den Frauen sehr geschätzt wird. Kurzum: Diesen Frauen geht es darum, ihren Körper und Geist in einer Gemeinschaft zu trainieren. Denn diese Energie, Zufriedenheit, mentale Stärke und Fokussierung macht Frauen stark und gibt ihnen Halt, Klarheit und Rückgrat. Und das schützt vor übergriffigen Situationen. ZEIT ONLINE: Sie wurden 1979 Weltmeisterin im Taekwondo. Zu einer Zeit, als der Sport noch vorwiegend von Männern dominiert wurde. Sie haben heute den 8. Dan im Taekwondo, den 5. Dan in Lapunti Arnis de Abanico, den 2. Dan in Shinson Hapkido und Sie beherrschen sowohl das koreanische als auch das chinesische Kung Fu. Aber eigentlich sind Sie Juristin. Warum war Ihnen der Sport wichtiger als der Beruf? Graff: Als ich eine Nothilfe für vergewaltigte Frauen gegründet habe, stellt ich schnell fest, dass wir viel früher anfangen müssen, um sexuelle Gewalt zu verhindern. Wir müssen die Gewalt gänzlich verhindern. So kam ich zur Kampfkunst. Damals gab es kaum Frauen im Taekwondo, in der Kampfkunst sowieso nicht – und sie waren vor allem auch nicht erwünscht. Als ich mit dem Training begann, gab es noch nicht einmal Umkleidekabinen für Frauen. Und trotzdem: Ich wollte Kampfkunst lernen, denn es überwogen für mich die Vorteile. Warum ich mich schließlich gegen die Laufbahn als Rechtsanwältin entschied und KARRIERE 4 meinem Leben der Kampfkunst widmete, ist letztlich einfach erklärt: Kampfkunst macht etwas Zauberhaftes mit uns, wenn wir plötzlich merken, wie stark wir sind.

COPYRIGHT: ZEIT ONLINE ADRESSE: http://www.zeit.de/karriere/2016-11/kampfkunst-fuehrung-karriere-frauen-vorteil