Unser Körpersinn spielt eine entscheidende Rolle in unserem Leben

Sehen, Hören, Riechen, Tasten, Schmecken – jeder kennt die 5 Sinne des Menschen. Der Körpersinn dagegen ist weitgehend unbekannt. Denn nur selten wird uns bewusst, mit welcher Macht er unser Leben regiert. Ohne den Körpersinn könnten wir weder geschmeidig gehen noch Fahrrad fahren, weder Sport treiben noch im Dunkeln hantieren oder gut kommunizieren. Mit ihm spüren wir, wie der Sessel, auf dem wir sitzen, geformt ist. Wir können schätzen, wie viel noch in einer Flasche ist, wenn wir sie anheben und etwas schwenken.

Dieser Sinn informiert uns über Masseverteilung, Schwerpunkt und Balance, darüber, welche Wirkung welche Kräfte auf Bewegungen haben. Mit seiner Hilfe können wir  Werkzeuge wie Messer und Gabel, Hammer oder Schere, sogar das Auto zu Körperteilen werden lassen.

Anders als beim Riechen oder Hören hat der Körpersinn kein spezifisches Organ. Wir nehmen den Körper und seine Haltung mit mehreren Teilsinnen wahr: Mit dem Tastgefühl und dem Gleichgewichtssinn, vor allem aber mit sogenannten Tiefensensoren in Muskeln, Sehnen und Gelenken. Diese winzigen Messstationen informieren unser Gehirn dauernd über Stellung, Spannkraft und Bewegung der Körperteile. In den Armen, im Rumpf und den Beinen dominieren sie den Körpersinn. Das Gefühl für die Hände – sie sind beim Menschen besonders hoch entwickelt – entsteht dagegen gleichermaßen aus Tiefen- und Tastsinn.

Eine wichtige Rolle für die Wahrnehmung des Körpers spielt zudem das Gedächtnis. Denn die Interpretationen von Tiefensinn und Tastgefühl müssen nach der Geburt erst erlernt werden. Wie fühlt es sich an, eine Tür zu öffnen? Viele Male muss ein Kind zugreifen. Doch wenn es genug Erfahrung gesammelt hat, sieht es einer Tür von weitem an, wie schwer- oder leichtgängig sie ist. Auch eine große Eisenkugel sieht aus der Entfernung schwer aus – weil wir mit Eisen schon früher einmal hantiert haben.

Der Körpersinn spielt nicht nur eine entscheidende Rolle für unsere Fähigkeit, die mechanischen Eigenschaften der Dinge im Wortsinn zu begreifen. Auch das abstrakte Denken könnte seine Wurzel in körpersinnlichen Erfahrungen und Bewegungsintelligenz haben, vermuteten der Biologe Konrad Lorenz und der Entwicklungspsychologe Jean Piaget. Ebenso könnten Gefühle auf Körperwahrnehmungen beruhen, glaubt der amerikanische Neuropsychologe Antonio Damasio. Und der Anthropologe Daniel Povinelli von der University of Louisiana behauptet sogar, das menschliche Selbst-Bewusstsein habe sich im Zuge der Evolution zuerst als Körper-Bewusstheit entwickelt, das den Menschenaffen bis dahin unmögliche Kletterkünste erlaubte.